12.09.2020
Von Hameln nach Hildesheim
Das Frühstück ist nicht nur ein Traum, sondern auch eine organisatorische Meisterleistung. Da Buffets in Niedersachsen aktuell nicht erlaubt sind, hat sich die Hoteliersfamilie etwas einfallen lassen. Jeder Gast bekommt, nachdem er sich gesetzt hat, eine reichhaltige Speisekarte mit vielen Leckereien zum Ankreuzen. Das wird dann zeitnah gebracht. Sie Spanne reicht von Eiern in allen Variationen über Fleisch von einem einheimischen Wollschaf oder einem Kalb, eine Quiche Lorraine nach Original Sacher-Rezept, einen Birnen-Avovado-Rucola- Salat bis hin zu Obstsalat, Quark, Joghurt und Bircher Müsli. Dazu Säfte von verschiedenen Streuobstsorten, usw. usw.
Beim Small Talk mit dem Junior Chef lobe ich nicht nur die Spitzenqualität des Frühstücks, sondern auch die organisatorische Leistung, da ich Zweifel habe, dass das dem Groß der Gäste bewusst ist. Er bestätigt die logistischen Herausforderungen, vor allem, weil die Küche so klein sei.
Die Bielefeld-Verschwörung
Um 10 Uhr treffe ich mich mit einem alten Freund in Hildesheim, der seit kurzem in Bielefeld lebt. Da es diese Stadt nicht gibt, können wir uns logischerweise nicht dort treffen. Spaß beiseite, er ist noch mitten im Umzug. Da es für mich noch mal ein ganz schöner Umweg gewesen wäre und er Hildesheim auch noch nicht kennt, treffen wir uns dort.
Wunderschöner Marktplatz 1990 errichtet
Startpunkt ist der wunderschöne Marktplatz, der mit allen angrenzenden Gebäuden im 2. Weltkrieg komplett zerstört wurde. Wie in vielen anderen Städten ging es auch in Hildesheim zunächst einmal darum, alles schnell wieder aufzubauen. Kaum zu glauben, dass erst 1989 die alten Gebäude wieder rekonstruiert und aufgebaut wurden, nachdem die Gebäude aus den 1950er Jahren abgerissen wurden. Heute löst der Platz mit seinem Ensemble einen Wow-Effekt bei allen Besuchern aus. Marktbrunnen, Rathaus, Tempelhaus, vor allem aber das Bäckeramtshaus und das Knochenhauer-Amtshaus begeistern uns.
Romanik oder Barock?
Der Rundgang durch Hildesheim ist auch ein Rundgang durch etliche Epochen, von der Romanik bis zum Barock. Etwas ganz Besonderes neben den vielen wunderschönen Fachwerkgebäuden sind der Mariendom und die Basilika St. Godehard, die auf der einen Seite durch ihre Einfachheit überzeugen – da gibt es keinen überflüssigen Schnickschnack – und auf der anderen Seite durch ihren zielstrebigen Drang nach oben. Beides übrigens Weltkulturerbestätten.
Von der Touristinfo gibt es einen gut gemachten Plan mit vielen Erläuterungen zur Hildesheimer Rosenroute. Rosenroute? Laut einer Legende wird Hildesheim so lange blühen und gedeihen, solange der 1000-jährige Rosenstock am Dom blüht und gedeiht.
Schade, dass die Strecke an manchen Stellen schwer nachzuvollziehen ist und schade, dass es in der Stadt entweder keine öffentlichen Toiletten gibt oder kaum Hinweise auf sie gibt.
Erinnerungen werden wach
Als ich den Dom sehe, dämmert mir, dass ich als Siebenjähriger schon mal in Hildesheim war. Damals machte ich mit meiner Mutter ein paar Tage Urlaub im Harz. Mein Vater war damals noch als Augenarzt im Klinikum Würzburg angestellt und machte ein paar Wochen Urlaubsvertretung in Hildesheim. Ärzte dürfen sich ja nicht einfach niederlassen, wo sie wollen, eine Zulassung erhalten sie nur dort, wo tatsächlich ein Arzt gesucht wird. Gesucht wurden Augenärzte damals in Hildesheim, Krumbach und Kulmbach.
Dass es letztlich Kulmbach geworden ist, lag sicherlich an der Nähe zu Würzburg, wo unsere Verwandten lebten, an der gewohnten Mittelgebirgslandschaft und am damaligen Kulmbacher Oberbürgermeister, der meine Eltern bekniet hatte, nach Kulmbach zu kommen, wo es damals nur einen Augenarzt gab, der auch schon deutlich über 60 war.
1000 Jahre Kirchengeschichte
Wunderbar auch das Dommuseum mit seinen liturgischen Geräten und Büchern vom frühen Mittelalter bis heute.
364 x 2 = 728
114,5 Meter hoch ist der höchste Turm Niedersachsens, da wollen wir natürlich hoch. Zumindest bis zur Aussichtsplattform auf 75 Metern. Zu Fuß. 364 Stufen rauf. 364 Stufen runter. Bei gefühlt 35 Grad. Celsius. Nicht Fahrenheit.
Der Blick ist toll, rüber auf den Rathausplatz, die Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern und die Kirchen Hildesheims.
Spontane Führung durch St. Andreas
Vorher erhalten wir noch eine spontane Führung in der Kirche. 1389 erbaut, teilte sie 1945 das Schicksal vieler anderer Kirchen. In einem Bombenhagel brannte sie am 22. März komplett aus. Nicht nur der Dom hat mit der Bernwardstür ein ganz besonders schönes Tor, auch St. Andreas hat ein schönes Tor zu bieten.
Übrigens: Heinrich II., in Bamberg kein Unbekannter, ging hier zur Schule.
Ein leckeres Eis in der Eisdiele Venezia direkt am Markt schließt unseren Stadtrundgang ab.
Schlendern durch Hameln
Mein Freund fährt weiter in den Außendienst, ich zurück nach Hameln. Ein Sprung ins Hallenbad macht dort meine müden Beine wieder halbwegs munter. In der Pfortmühle, direkt an der Weser gelegen, gönne ich mir einen Svíčková, einen böhmischen Sahne-Rinderbraten, laut Speisekarte der Gipfel der böhmischen Kochkunst. Der Aussage kann ich im Prinzip zustimmen. Leider bezog sich die Aussage nicht auf den vor Ort angebotenen Braten. Er war nicht schlecht, es fehlte aber das entscheidende Etwas...
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