Theth

Montag, 22.05.2023

Hebammen und Blutrache

 

Wir sind alle gerädert heute Morgen. Zumindest kommt es mir so vor. Die Hellhörigkeit des Hauses fordert ihren Tribut.

 

 

Wir unternehmen heute eine kleine Wanderung durch den Ort, zur Kirche, zu einem Blutracheturm und - Überraschung! - zu einem Wasserfall. Deshalb sind wir schließlich hier!

 

 

Im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen Nordalbaniens hat die 1892 erbaute Kirche die Zeit des Regimes vergleichsweise gut überstanden. Der Turm wurde abgetragen, das Kirchenschiff wurde zu einem Gesundheitszentrum und einem Hebammenstützpunkt.

 

 

Mit Spenden von Familien, die in die USA emigriert sind, wurde der Turm 2004 bis 2006 wiedererrichtet und die Kirche behutsam saniert. Es ist schon imponierend, wenn man vor der schönen kleinen Kirche steht, mit den gigantischen Bergmassiven im Hintergrund.

 

Etwas Besonderes ist der Blutracheturm, in den uns der Eigentümer eingeladen hat. Wie an anderer Stelle erwähnt, spielte die Blutrache in Albanien schon immer eine wichtige Rolle. Wurde ein Mann aus einer Familie umgebracht, brachte man als "Ausgleich" einen Mann aus der "Mörderfamilie" um. Wurde eine Frau umgebracht oder ein Kind, mussten sogar drei Männer daran glauben. Das führte letztlich dazu, dass ganze männliche Linien ausgestorben sind!

Der Turm wurde über vier Jahrhunderte lang genutzt. Dem Vernehmen nach wurden in dem Turm über 300 Streitfälle gelöst, dem angeklagten Mörder war es bis zu 15 Tage lang erlaubt, oben im Turm zu verweilen. In dieser Zeit wurde eine Etage tiefer versucht - während der Angeklagte alles mithören, sich aber nicht äußern konnte - die Umstände des Mordes zu klären. Wenn der Rat der Ältesten ein verbindliches Urteil fand, wurde die Blutrache quasi ausgesetzt.

 

Übrigens: Seit 1991 sollen in Albanien mehrere 1.000 Menschen dem "Gesetz der Berge"  zum Opfer gefallen sein.

 

 

Vom Ort aus geht es noch ein Stück den Berg hoch zu einem Wasserfall.

 

 

Unterwegs mit Speedy Gonzales

 

Unser Busfahrer verwandelt sich wieder in Speedy Gonzales, die schnellste Maus Albaniens. Ich hoffe, er konnte besser schlafen, als die meisten von uns!

 

 

Die Straße nach Theth (bzw. aus Theth raus) ist schmal und erst seit 2021 asphaltiert. Trotzdem lebt auch heute nur ein Bruchteil der Einwohner Theths das ganze Jahr über vor Ort. Im Winter ist der Ort eine halbe Geisterstadt. Noch weiß man nicht, ob die Asphaltstraße das ändern wird.

 

 

Oben am Pass, dem Qafa e Thorës, lohnt sich ein Stopp immer. Der Ausblick mag vordergründig derselbe sein wie gestern, aber dank der anderen Uhrzeit und der anderen Sonneneinstrahlung auch wieder ganz neu.

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© Peter Belina