Helgoland

16.09.2020

 

Sehe die eigene Hand vor Augen nicht mehr

 

Gut, dass ich einen entsprechenden zeitlichen Puffer eingeplant habe. Als ich losfahre, sehe ich die Hand vor den Augen nicht mehr, so dicht ist der Nebel. Parkplätze in Büsum sind reichlich frei und Sitzplätze auf dem Schiff im Freien auch noch. Bei dem Wetter gehen die meisten rein in die MS „Lady von Büsum“.

 

 

Abfahrt verzögert sich

 

Die Abfahrt verzögert sich, weil in der Reihe vor mir ein älterer Herr zusammenklappt. Gut, dass einige Ärzte und Rettungssanitäter an Bord sind. Gut auch, dass das Schiff noch im Hafen liegt. Der Mann muss immer wieder reanimiert werden, der Defibrillator kommt mehrfach zum Einsatz. Ich halte derweil die Flasche mit der Infusion. Für alles andere gibt es Leute, die sich besser auskennen. Irgendwann wird er mit der Sanka abtransportiert. Ich hoffe, dem Mann geht es wieder gut.

 

Die MS Funny Girl, offiziell eine halbe Stunde später gestartet als wir, zieht locker an uns vorbei.

 

Schiff ahoi!

 

Irgendwann geht es aber dann doch los in Richtung Helgoland. Eine 2 1/2-Stunden Fahrt durch dichten Neben erwartet uns. Obwohl? Ist es da vorne nicht heller? Ist da nicht sogar ein Stück blauer Himmel? Tatsächlich sollte es zusehends aufklaren. Im Laufe des Nachmittags, als die Tagestouristen weg sind, kommt noch mal die Sonne so richtig voll raus.

 

Die Krater sind nicht natürlichen Ursprungs, sondern Ergebnis des britischen Bombenhagels.

 

Rickmer’s Insulaner

 

In Helgoland geht es erst einmal in mein Hotel. Bin mit leichtem Gepäck unterwegs, alles, was ich brauche, ist in einem Rucksack und einem Fotorucksack. Gleich hinter den Hummerbuden bin ich (auf Zeit) zu Hause. Mein Zimmer im Hotel Rickmer’s Insulaner, das letzte Zimmer auf der Insel, das gestern bei booking.com noch zu haben war, ist für mich vorbereitet. Die Zimmer sind nach Inselnamen benannt, ich wohne im Zimmer Læsø, eines von drei Zimmern ganz oben, mit Blick auf die Strandpromenade, den Hafen und die Düne.

 

Die Hummerbuden, gleich hinter dem Hafen und vor dem eigentlichen Unterland.

 

Rückblick

 

Ursprünglich war Helgoland mal Teil des Festlandes. Heute kaum noch vorstellbar, liegt die Insel doch 48,5 km von St. Peter-Ording entfernt, dem nächsten Punkt am Festland. 1721 zerbrach die Insel erneut, damals entstanden die heutigen Inseln Helgoland mit 1 qkm und die Düne mit 0,7 qkm, 1.712 Meter voneinander entfernt.

 

Erst seit 1890 gehört die Insel zu Deutschland. Damals wurde der Helgoland-Sansibar-Vertrag geschlossen. Entgegen der landläufigen Meinung wurden die beiden Inseln aber nicht gegeneinander getauscht. Vielmehr verzichtete das Deutsche Reich gegenüber dem Britischen Empire auf die Geltendmachung von Gebietsansprüchen auf das damals selbstständige Sultanat Sansibar (Vgl. auch meinen Reiseblog zu Ostafrika).

 

Blick auf die Düne, einst mit Helgoland zusammengewachsen.

 

Erweiterungen von Menschenhand

 

Kaum Teil Deutschlands, wurde Helgoland zu einem Militär- und Marinestützpunkt ausgebaut. Die Insel wurde damals zum einen gegen die Brandung geschützt, zum anderen aber auch im Südwesten erheblich erweitert.

 

 

Zerstörung durch Menschenhand

 

Der letzte bedeutende und bis heute markante Eingriff in die Gestalt der Insel fand während und nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Die Briten zerstörten die gesamte Bebauung der Insel. Nur der Leuchtturm überstand das Bombardement. Am 18. April 1945 warfen 1.000 britische Flugzeuge binnen 104 Minuten etwa 7.000 Bomben ab.

 

 

Am 18. April 1947, genau zwei Jahre später, zerstörten die Briten schließlich mit der bis heute größten nicht-nuklearen Sprengung der Geschichte vor allem militärische Bunkeranlagen, 6.700 Tonnen Sprengstoff gingen in die Luft. Zur kompletten Zerstörung der Insel, die in Kauf genommen wurde, kam es nicht, das Relief der Insel wurde entsprechend beeinflusst, es entstand das Mittelland, der U-Boot-Bunker im Süden der Insel wurde zerstört.

 

 

Hui oder pfui?

 

Davon merkt man heute nicht mehr viel. Wobei, das ist nicht ganz korrekt. Landschafts- und Ortsbild haben sich durch diesen „Eingriff“ komplett verändert. Eine Hinterlassenschaft sind die ganzen Bombenkrater im Oberland und die Gebäude im Stil der 1950er und 1960er Jahre. Ohne den entsprechenden historischen Background könnte man das aber für normal halten.

 

 

Inselrundgang

 

Ich wohne im Unterland, laufe am Hafen und am Schwimmbad vorbei und lande schließlich im Oberland, wo ich im Gegenuhrzeigersinn immer am Rand der Klippen entlangwandere. Mit verschiedenen Abstechern kommen da nicht viel mehr als sechs Kilometer zusammen. Aber was für welche. Anfangs ist der Weg überfüllt, das ändert sich aber schlagartig, als die Touristen zurück zum Schiff laufen, vorher vielleicht noch einen Kaffee trinken oder einen Whisky kaufen.

 

Die „lange Anna“ hat sicher jeder schon mal auf einem Foto oder im Fernsehen gesehen. Inzwischen hat man alle weiteren Sicherungsmaßnahmen aufgegeben, da sie extrem hohe Kosten verursachen, aber den Verfall nicht aufhalten können. Für die oberen zwei Drittel besteht eine akute Abbruchgefahr. Noch steht sie aber.

 

 

Bauhaus lässt grüßen

 

Wie baut man eine komplett zerstörte Insel wieder auf? Man entschied sich damals gegen einen „historisierenden“ Wiederaufbau, sondern für moderne Architektur. Ab 1952 beginnt der Wiederaufbau. Das städteplanerische Konzept überzeugt mich: Gemäß der Charta von Athen findet eine klare Gliederung in die Bereiche Wohnen, Gewerbe und Tourismus statt. Immer wieder vorspringende Winkel, verwinkelte Dächer, enge Sträßchen und kaum Gärten, um den Wind draußen zu halten. Um Monotonie zu reduzieren, sind alle Straßen leicht gebogen. 14 erdtönige Farben für die Häuserwände sieht das Konzept vor. Das Stadtbild ist an Bauhaus orientiert.

 

Ob es den Besuchern gefällt? Da werden wohl die Meinungen weit auseinander gehen. Von der Optik selbst bin ich selbst nicht so ganz überzeugt, vom städteplanerischen Konzept dagegen schon.

 

 

Du hast einen Vogel!

 

Die Insel wird intensiv genutzt von Trottellummen, Dreizehenmöwen, Silbermöwen, Tordalken, Eissturmvögeln, und seit 1991 auch von Basstölpeln. Die Vögel nisten in verschiedenen Höhen der Steilklippen.

 

Die möchte man nicht unbedingt als Nachbarn haben, schließlich machen die einen Mordsradau und muffeln.

 

 

Landen auf engstem Platz im Sekundentakt

 

Ja, ganz schön was los hier. Inzwischen habe ich die Vögel fast für mich alleine. Macht Spaß, denen zuzuschauen. Vor allem den Basstölpeln, die teilweise keinen Meter vom Fußpfad entfernt nisten. Gut drei Kilogramm bekommt so ein Vogel auf die Waage, 160 bis 180 Zentimeter beträgt die Spannweite. Einjährige Jungvögel können noch komplett braun sein, erst später wird das Gefieder weiß.

 

Die Insel mit 432 nachgewiesenen Arten gilt als artenreichster Ort Europas, viele Vögel machen im Frühjahr und Herbst Station.

 

 

Sonne genießen

 

Im Falm Café genieße ich die letzten Sonnenstrahlen, bevor in Helgoland die Bürgersteige hochgeklappt werden, zumindest, was viele Restaurants, Cafés, Alkohol-, Kosmetik- und Klamottenläden angeht. Die Tagestouris sind schließlich weg. Und das ist gut so, ab ca. 16 Uhr erfolgt plötzlich eine komplette Verwandlung der Insel.

 

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Tag 8: Helgoland und die Düne

 

Anregungen, Fragen oder Hinweise? Herzlich willkommen bei meinem Gästebuch!

 

So so, am Flughafen Frankfurt sind sie also stolz darauf, dass dort in der Minute vier Flieger runter können. Schaffen wir auch. Und zwar in der Sekunde!

 

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© Peter Belina