Das Genozid-Denkmal oberhalb von Eriwan, in Gedenken an rund 1,5 Millionen Opfer.

 

Armenisches Trauma

Armenien 17.07.2018

 

 

Frage an Radio Eriwan:

"Können die Kommunisten den Kommunismus aufbauen?"
 

Antwort von Radio Eriwan:

"Im Prinzip ja, aber haben Sie schon mal Zitronenfalter Zitronen falten sehen?"

 

 

Musik liegt in der Luft. Oder war es der Brandyduft?

 

Es liegt was in der Luft!

 

Ein intensiver Brandyduft wabert wie ein Nebel durch die Gänge. Wenn ich diesen Duft noch zwei Stunden lang inhaliere, bin ich sternhagelvoll, ohne auch nur einen Schluck getrunken zu haben. Unsere zehnköpfige Gruppe ist bei Ararat Cognac, weltweit immerhin Nummer 4 bei den Brandys und Cognacs. Den armenischen Cognac bekommt man in vielen Ländern der Welt, dann allerdings als Brandy, weil der Begriff "Cognac" bekanntermaßen geschützt ist.

 

 

Egal, welche Bezeichnung das Teil trägt: Es schmeckt! Vor allem, wenn man vorher ein Stück Schokolade zu sich nimmt, und egal ob man den drei-, den sechs- oder den zehnjährigen inhaliert oder gar trinkt. Hicks!

 

By the way: Der 10-jährige "Ararat" ist Stoff vom Feinsten! Seit 6.000 Jahren wird in Armenien Wein angebaut, der Rohstoff des Brandys. Erfahrung, die man schmeckt!

 

Etwas ganz Besonderes: Der einzige Ort in ganz Armenien, wo eine Fahne von Aserbaidschan zu sehen ist, sind beide Staaten doch tief verfeindet. Auslöser für diese Feindschaft ist der Konflikt um Bergkarabach. Dieses Fass wird geöffnet, wenn Armenien und Aserbaidschan eine einvernehmliche Lösung für Bergkarabach gefunden haben. Dann gibt es Brandy für alle!

 

Die Besichtigung stand am späten Nachmittag auf dem Programm. An dem Tag hatten wir schon eine Odyssee hinter uns. Mit einer Stunde Verspätung ging es in Frankfurt los. Unser Flieger in Warschau war längst weg bzw. dann doch nicht, weil der weit über drei Stunden Verspätung hatte. Letztendlich kamen wir gegen 7:30 Uhr ins Hotel, um 11 Uhr ging es dann schon wieder los.

 

Bei der LOT, der polnischen Fluggesellschaft, ist es so wie bei den anderen Carriern: Essen, Platz und Getränke gibt es nur in homöopathischen Dosierungen. Da haben sich die 100 Euro Aufpreis für die Business-Class gelohnt: Im Flieger zweimal warmes Essen, Getränke so viel man will, 20 Zentimeter mehr Beinfreiheit, in Warschau eine Limousine, die uns schnell und bequem zum anderen Gate bringt und dann noch die Lounge in Frankfurt und in Warschau. Sparen kann ich auch woanders!

 

Es gibt Belege, dass Eriwan mindestens seit 782 vor Christus existiert. Architektonisch schlägt das Alter leider kaum durch, die Stadt wird dominiert vom sozialistischen Städtebau.

 

r

Brutaler Einstieg

 

Im Juni 2016 hat der Deutsche Bundestag die Armenien-Resolution fast einstimmig verabschiedet und die Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern als Völkermord bezeichnet. Das hat ja Erdogan damals überhaupt nicht gepasst, seit diesem Zeitpunkt ist auch in Deutschland klar, dass der Mann eigene Absichten hat, die sich – vorsichtig formuliert – nicht immer mit mitteleuropäischen Ansichten und Moralvorstellungen decken.

 

Und das war unser erster Programmpunkt in Armenien: der Besuch des Genozid-Museums, wo der Ermordung vor allem von Westarmeniern gedacht wird, unbewaffneten Männern, Frauen und Kindern. Schwere Kost! Als ich aus dem Museum raus bin, habe ich mir nur gedacht: „Doch, die Menschheit hat es in ihrer Evolutionsgeschichte unglaublich weit gebracht“. Dass dieses Thema in Armenien natürlich eine große Rolle spielt, überrascht nicht, hat das Land heute doch gerade mal drei Millionen Einwohner, weitere 12 Millionen leben verstreut über den ganzen Erdball.

 

 

Beim Denkmal draußen, dort, wo das ewige Feuer brennt und wo mit vielen Blumen der Toten gedacht wird, steht ein Chor, der traurig klingende Lieder singt. Den Text habe ich nicht verstanden, die Musik schon. Doch, da muss man sich echt zusammenreißen. Für eine Urlaubsreise schon ein echt brutaler Einstieg, aber auch sinnvoll, weil man nur so dieses Land versteht.

 

 

Einmaliges Kulturgut: Das Matenadaran

 

Das Genozid-Museum war letztendlich auch die ideale Vorbereitung für das Matenadaran (altarmenisch für „Bibliothek“). In diesem Museum werden insgesamt 23.000 Manuskripte, Dokumente und Bücher aufbewahrt. Die ältesten Bücher sind über 1.000 Jahre alt. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Handschriften in armenischer Sprache, einer Sprache, die gerade mal von neun Millionen Menschen gesprochen wird. Die Schrift gibt es seit dem Jahr 406 und hat klassischerweise 36 Buchstaben, genauer gesagt 4x9 Buchstaben, hinter denen sich ein Dezimalzahlensystem verbirgt. Die ersten neun Buchstaben stehen für die Zahlen 1 bis 9, die nächste Gruppen für die Zahlen 10 bis 90 usw.

 

 

Fotos der Handschriften dürfen leider nicht gemacht werden, aber auch die Architektur lohnt ein Foto.

 

Hier kommt der Bezug zum Genozid-Museum, weil viele dieser Handschriften und Bücher auf der Flucht mitgenommen wurden, oft unter extremsten Bedingungen. Wenn eines dieser Bücher den Jungtürken in die Hände fiel, wurde es sofort vernichtet. Die größte Bibel mit einem Gewicht von 24 Kilogramm haben zwei Frauen halbiert, damit sie überhaupt transportiert werden konnten. Eine Hälfte kam relativ unbeschädigt in Armenien an, die Frau mit der zweiten Bibelhälfte starb unterwegs, vergrub ihre Hälfte aber vorher noch in der Erde. Mit viel Glück konnte dieses Buch einige Monate später gefunden werden und wird seitdem restauriert.

 

Wenn man diese Hintergründe kennt, wird dieses Museum noch beeindruckender. Dazu beigetragen hat aber auch die Dame, die uns durch das Haus geführt hat. Bei meiner Ankunft war ich stehend k.o., sie hat es aber so gut gemacht, dass ich über eine Stunde lang förmlich an ihren Lippen hing. Es ist immer toll, Menschen zu treffen, die für ihren Beruf brennen und damit Dritte anstecken.

 

Unglaublich aufwändig ist die Vogelschrift. Hier werden bunte Vögel so aneinandergereiht, bis daraus Buchstaben entstehen. Ein „Y“ in unserer Schrift etwa würde wohl aus drei Vögeln bestehen.

 

 

Die Kaskade

 

Dazwischen waren wir noch bei der Kaskade mit dem Cafesjian Center for the Arts. Unten warten etliche Plastiken auf die Besucher und ein Paulaner Biergarten. Von hier aus geht es einige hundert Stufen nach oben, wahlweise draußen oder drinnen. Drinnen kann man auch auf Rolltreppen ausweichen, die an den Plattformen mit ihren Ausstellungen immer unterbrochen sind. Es dürfte sich hier um das einzige Museum handeln, wo man auf der Rolltreppe steht und linker Hand eine Plastik nach der anderen zu Gesicht bekommt.

 

 

Sagt die Frau „Husch husch“ zu mir

 

Am Abend war nicht mehr viel mit uns anzufangen. Zu dritt wollten wir zu einem typisch armenischen Lokal, nicht allzu weit weg vom Hotel. Sicherheitshalber habe ich mir den Namen des Lokals in armenischer Schrift aufschreiben lassen, falls wir es nicht auf Anhieb finden. Unterwegs zeige ich den Zettel zwei älteren Damen. Die zeigen nach rechts hinten, eine sagt noch „Husch husch“. Das haben wir dann auch gemacht.

 

 

 

binmalebenweg: Reiseblogs - Reisereportagen - Reisetagebücher

Druckversion | Sitemap
© Peter Belina